Transride dè Schotter

Eine Roadbook-Tour durch West-Schweden

Text und Fotos: Detlev "Deti" Müller

Der erste Tag in SchwedenOffroad-TrainingRoadbook Nr. 1
Roadbook Nr. 2Roadbook Nr. 3Ruhetag?
Roadbook Nr. 4Roadbook Nr. 5Roadbook Nr. 6
Roadbook Nr. 7Das war'sDie "Kür"
Die Teilnehmer


Heiligabend 1996. Unter all den kleinformatigen Weihnachtsgrüßen fiel mir ein fast riesiger Umschlag auf. Universität Göteborg, stand da als Absender. Aber ich kenne niemanden in Göteborg, und an der Uni grad gar nicht!? Oder Moment mal, Per, den ich bei einem Treffen an Ostern kennengelernt hatte - der war doch aus Göteborg? Richtig geraten. "... und möchte ich Dich noch ganz herzlich persönlich zur Transride dè Schotter einladen ...", inclusive einer Beschreibung dessen, was ich darunter nun zu verstehen hätte. Ich hatte schon gelesen von der Veranstaltung, aber so richtig ins Bewusstsein gedrungen war sie nicht, weil ich vermutete, dass es eine Massenveranstaltung sein würde. Und wer mich kennt, weiss, dass mir Urlaubsfahrten mit mehr als drei Leuten ein Greuel sind, zu deren Teilnahme es einer besonderen Begründung bedarf. Und die war in diesem Falle, dass ich als Skandinavien-Fan noch nie in Schweden war. Und die Tatsache, dass Per mich schliesslich auch kennt. Die erste Aktion im neuen Jahr war also, eine eMail an Per zu schicken: "Ok, ich bin dabei..."

Meine ursprüngliche Planung war, auf dem Landwege über Fehmarn, durch Seeland und Kopenhagen nach Göteborg zu fahren, was nach allen Erfahrungen in einem Tag zu schaffen sein müsste. Aber Per hatte da eine andere Idee: Mit der Nachtfähre von Kiel aus direkt nach Göteborg, und der Raid sollte dann morgens um 10 Uhr im Hafen von Göteborg beginnen. Das hätte dann für mich eine Übernachtung irgendwo in Schweden bedeutet, also entschloss ich mich, auch den Dampfer zu nehmen. Per empfahl eine Vorabbuchung, und das war, wie sich bald herausstellte, eine durchaus gute Idee. Man stelle sich vor: 30 Motorradfahrer fallen auf dem Schiff ein ... Es gab im Vorfeld ein paar Schwierigkeiten, aber mit Hilfe des netten Herrn Höllinger von der Stena- Line hatte es schliesslich doch alles hervorragend geklappt.

Zu fünft machten wir uns also am 9. Juni gegen Mittag von meinem Heim in der Nähe von Hannover auf, trotteten getreu dem Motto "der Weg ist das Ziel" durch die Lüneburger Heide, schenkten uns wegen aufkommendem Regen das Alte Land und standen schliesslich pünktlich eine Stunde vor Abfahrt der Fähre inmitten eines Pulkes von 20 Transalp-Fahrern aus Deutschland und den Niederlanden am Schwedenkai in Kiel. Per, mit Wohnsitz Göteborg nördlichstes Mitglied der Transalpfreunde Deutschland, Organisator des Transride und unser "Chef" für die nächsten 10 Tage, erwartete uns an der Fähre, und Punkt 20 Uhr ging der "Stress" los: Erstes Meeting aller Teilnehmer (ausgenommen diejenigen, die erst in Göteburg zu uns stossen sollten).

Und jetzt sitzen wir in einem der Konferenzsäle auf der Fähre und bringen gemeinsam die vorbereiteten Roadbooks in die endgültige Form, und Per erläutert uns, wie er sich den Ablauf der Tour vorgestellt: "Die ersten beiden Tage werden wir gemeinsam fahren, werden ein Asphalt- und Schottertraining absolvieren, und ab dem dritten Tag wird in kleinen Gruppen von 4-5 Leuten gefahren. Wir werden uns dann nur morgens, abends und eventuell kurz mittags sehen."

Um Mitternacht feiern wir auf dem Sonnendeck mit einigen Magnumflaschen Sekt Piets Geburtstag, während wir die neue Brücke zwischen Jütland und Seeland passieren, und dann geht´s auch bald in die Kojen.

Der erste Tag in Schweden

Schweden begrüsst uns mit herrlichstem Sonnenschein und Temperaturen um die 25-28 Grad - und das sollte für die nächsten Tage auch so bleiben. Im Göteborger Hafen erwartet uns der Rest der Truppe, und ab geht es quer durch die Stadt zu Pers Garage, wo wir unser Basis-Camp einrichten. Alles, was an Kleidung und Getränken für die nächsten drei Tage nicht gebraucht wird, wird hier zwischengelagert, und dann und wann werden wir hier vorbeischauen und Nachschub bunkern. Auf dem Weg zum ersten Mittagessen bekommen wir schon mal einen Eindruck von dem, was uns in den nächsten Tagen erwarten wird: Per kann es nicht lassen, den Weg zur Gaststätte mit einer Grobschotter- und Tiefsandpassage längs einer Eisenbahnlinie zu garnieren. Der Nachmittag sieht uns zum Asphalt- Training auf einem riesigen, jetzt leeren Parkplatz der Chalmers-Universität zu Göteborg. Ja, die Uni, sie sollte uns noch einige Male begegnen im Verlauf der Zeit. In Windeseile werden einige Parcours mit Pylonen abgesteckt - Karrees mit 5 m Seitenlänge und einem Pylon in der Mitte, die in Achterkurven durchfahren werden müssen - Slalomstrecken - Kreise mit diversen Durchmessern - eine Bremsstrecke. Und als Per mal nicht da ist, machen wir uns den Spass und fahren - jeweils zwei gegeneinander - über eine Strecke von 20 m den langsamsten Transalpfahrer aus. Interessanterweise sind die auf den anderen Parcours schnellsten hier nicht unbedingt die besten. Auf dem riesigen Areal können wir uns nach Herzenslust austoben, und Dirk etabliert sich als Wheelie-King. Glatte 50 m schafft er mit der dicken Transalp!

Schliesslich machen wir uns auf den Weg zu unserem Quartier für die nächsten beiden Tage, der Hütte der Studentenschaft der Chalmers- Universität, zu deren Lehrkörper Per gehört. Es verschlägt uns schier die Sprache ob der romantischen Lage auf einer Halbinsel im Sandsjön, in der Nähe des Dorfes Härryda. "Und wo sind die Duschen?" Was für Duschen? Wir haben doch den See ... Und als Toilette ein "Plumps-Cafe", einen offenen Vierzylinder gewissermassen. Vier Brillen im Karree, mit einem Tisch in der Mitte. Es geht das Gerücht, dass sich zwischen Frühstück und Abfahrt hier diverse Doppelkopfrunden getroffen haben sollen. Und natürlich gibt es eine Sauna, die grösste holzbefeuerte Sauna Skandinaviens, wie Per versichert, und natürlich wird sie ausprobiert. Das anschliessende Abendessen vermittelt uns einen Eindruck davon, was man in Schweden unter gutem Essen versteht: Räucherlachs, Kaviar, Shrimps, Elch- Buletten, gepökeltes Rindfleisch und so weiter und so weiter, zu viel, um alles zu probieren und alles im Gedächtnis zu behalten. Mona, Pers Freundin, und Johan unterhalten uns mit Keyboard und Gitarre, und gemeinsam singen wir alles, was man so kennt und was man nicht kennt - alte Beatles- und Stones- Lieder, noch ältere schwedische Volkslieder, Gospels, Rock´n´Roll ...

Der zweite Tag

Offroad-Training

Heute ist fitmachen angesagt für die Anstrengungen, die uns in den nächsten Tagen erwarten werden. Es geht von der Hütte zurück nach Göteborg, auf die schon bekannte Sandpassage längs der Eisenbahn. Wieder werden diverse Parcours ausgesteckt: eine 300 m lange Strecke, die in einer schier endlosen Folge von 180-Grad-Kehren zu befahren ist, angefangen auf relativ festem Untergrund bis hin zu Tiefsand, ein Slalomparcours im Tiefsand, und Kreise auf losem Schotter, in denen man hervorragend das Driften üben kann. Nach dem Mittagessen geht es in ein altes, riesiges Kiesgrubenareal an der Mündung des Göta älv, mit Moto-Cross- und Enduro-Strecken jeglichen Schwierigkeitsgrades. Da Moto-Cross- Strecken nicht so ganz mein Ding sind, suche ich mir eine Cross-Country- Strecke quer durch das Gelände, über verschiedene Granithügel, durch Schlammlöcher, tiefe Rillen. Man muss es mal ausnutzen, wirklich querfeldein fahren zu können. Bei der Auffahrt auf den letzten Granitbuckel setzt die Alp krachend auf einem Stein auf, genau da natürlich, wo kein Motorschutz mehr ist, was mich ein Stück Motorgehäuse kostet. Da es sich aber nur um eine Verstärkungsrippe handelt, die dran glauben musste, ist der Schaden nicht so gross. Schwein gehabt! Damit das nicht noch einmal passiert, ist Nacharbeit angesagt.

Abgekämpft fahren wir wieder nach Göteborg, wo wir an einem Kiosk die Göteborger Spezialität probieren, die es sonst nirgends geben soll: Halv Special mit Pucka. Sonst nirgends? Hm, Halv Special sieht einem Hot Dog verzweifelt ähnlich, schmeckt auch so, und hinter Pucka verbirgt sich ein Kakao. Wie auch immer. Schliesslich fahren wir noch auf die Aveny, Göteborgs Prachtstrasse im Centrum Syd, am späten Mittwoch Nachmittag Treffpunkt der Göteborger Biker. Unter den wohl 150 Maschinen, die hier stehen, entdecke ich tatsächlich auch noch eine Transalp. Und weil die Jungs und Mädels nichts besseres zu tun haben, eskortieren sie uns allesamt zurück zum Sandsjön. Zur Rush-hour mit an die 200 Moppeds durch Göteborg? Klar, geht, Kreuzungen werden kurzerhand gesperrt und dabei auch schon mal eine rote Ampel ignoriert. Und keiner regt sich auf. Kurz vor der Hütte verabschieden wir unsere Eskorte, und endlich angekommen, haben wir nichts eiligeres zu tun, als uns aus den durchgeschwitzten Klamotten zu pellen und in den See zu springen. Herrlich!

Der dritte Tag

Roadbook Nr.1: Sandsjön - Sandsjön

Nach dem üblichen opulenten Frühstücksbüfett soll es also heute mit dem ersten Roadbook losgehen. Ein Blick auf die Summe der Kilometer am Schluss: aha, 352 km, davon ca. 45 % auf Schotterpisten. Holla, will Per uns fertigmachen? Um es vorwegzunehmen: ich weiss nicht, ob es seine Absicht war, aber er hat es geschafft. Am Abend hatte keiner mehr die rechte Lust, auch nur noch einen Kilometer Motorrad zu fahren. Aber so weit sind wir noch nicht. Bei strahlendem Sonnenschein und 30 Grad - der eigentliche Grund dafür, dass wir am Abend fix und alle waren - machen wir uns im Abstand von einigen Minuten in Gruppen zu je 4-6 Leuten auf den Weg. Ich habe mich mit Bernd und Andreas aus Wuppertal sowie Klemens aus Frankfurt zusammengetan, eine hervorragende Wahl, wie sich bald herausstellen sollte. Andreas, den wir uns als Leithund auserkoren haben, weil er schon Erfahrung im Roadbook-Fahren hat, fährt recht zügig, ohne zu rasen, was folgerichtig dazu führt, dass keiner von uns während der zwei Wochen seine Maschine abgelegt hat, bis auf Klemens, der am letzten Tag mal geschaut hat, wie sich eine Transalp auf einer Viehweide verhält. Aber weder Mann noch Motorrad ist etwas dabei passiert.

Auf kleinen asphaltierten Strassen verlassen wir Härryda zunächst Richtung Süden, halten uns, nicht nur heute, streng daran, wenn im Roadbook "SLOW" steht, es an einem einsam stehenden Haus vorbei geht. Mit der Zeit entwickeln wir ein Gespür dafür, ob so ein einsames Haus bewohnt ist - immer, wenn die schwedische Nationalflagge gehisst ist, ist jemand zu Hause. Und dann tun wir freiwillig langsamer, schliesslich sollen uns die Leute nicht als rasende Rüpel in Erinnerung behalten. Und immer, wenn wir in der Einsamkeit jemanden treffen, geht die linke Hand zum Gruss hoch, und meistens kommt der Gruss auch zurück.

Nördlich Göteborg treffen wir auf eine schmale Schotterpiste parallel zu einer Autobahn, und wir leisten uns ein Rennen mit den Autos, die dort fahren. Nun, das ist nicht allzu schwer, denn auf schwedischen Autobahnen gilt Tempo 90, aber die Vorstellung, wie die Autofahrer schauen mögen, wenn an der Spitze einer riesigen Staubwolke ein paar Motorräder auf einer Schotterpiste an ihnen vorbeirauschen, treibt uns schon ein leichtes Grinsen ins Gesicht. Vor einer unvermuteten Kurve sehen wir dann vier lange Bremsspuren in den Schotter gezeichnet - die Gruppe vor uns war wohl noch schneller unterwegs -, aber auch wir müssen heftig in die Eisen.

In Kungälv, dort wo der Göta älv den Nordre älv Richtung Meer entlässt und somit die nördliche Hälfte Göteborgs genau genommen zu einer Insel macht, erheben sich auf einem Granithügel die eindrucksvollen Reste der Bohus fästning, einer mittelalterlichen Festung. Eine Besichtigung der Feste müssen wir allerdings auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, auf einen anderen Schwedenbesuch. Eigentlich hatte ich ja noch einmal dorthin fahren wollen, aber manches kommt halt anders, als man es sich vorstellt. Ungefähr entlang der Grenze der Provinzen (Län) Västergotland und Bohuslän arbeiten wir uns hauptsächlich über Schotterpisten in Richtung Nordosten vor. An der alten Schleusenanlage zwischen dem Vänern, mit einer Fläche von 5585 km2 der drittgrösste Süsswassersee Europas, und dem Göta älv erwartet uns Per zur Mittagspause, und wir vernichten die Reste des gestrigen Abendessens.

Als nächstes steht die Durchquerung eines Truppenübungsplatzes zwischen Vårgårda und Herrljunga auf dem Programm. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: ein Truppenübungsplatz, und die einzige Unsicherheit ist, ob da heute Truppen üben würden. Dann wäre die Schranke geschlossen gewesen, und wir hätten einen anderen Weg nehmen müssen. Die Schranke ist aber offen, also dürfen wir durch. Man stelle sich das mal für den Truppenübungsplatz Bergen oder irgendeinen anderen in Deutschland vor! Und dort habe ich tatsächlich ein Schild gesehen, das besagt, man möge es doch wegen MotoCross-Aktivitäten mit 50 km/h gut sein lassen. Ach Schweden, eins der gelobten Länder der Endurofahrer... Aber hoppla, was ist das? Da stehen wir doch plötzlich an einer Wegekreuzung, die wir in unserem Roadbook nicht nachvollziehen können. Haben wir irgendwo einen Fehler gemacht? Noch mal zurück zum letzten Punkt - der war ok. Nein, wir sind richtig gefahren, Per hat sich offenbar hier verhauen. Wir greifen also auf "konventionelle" Navigationsmittel, sprich Karte und Kompass, zurück, und Andreas speichert die aktuelle Position sicherheitshalber in seinem GPS. Der nächste Ort, den wir finden müssen, ist Grude, was uns auch auf Anhieb gelingt, und schon haben wir den Anschluss ans Roadbook wieder gefunden. Ganz knapp verpassen wir Hedared, wo die einzig erhaltene Stabkirche Schwedens steht (hej Per, da hättest Du uns eigentlich hinführen können ;-) ), und langsam aber sicher tasten wir uns Richtung "Heimat", die heute für uns Chalmers Studentkar Stygan heisst. Der Hintern tut uns schon rechtschaffen weh, und nach all der Hitze und all dem Staub sehnen wir uns nach einem Bad im Sandsjön.

Der vierte Tag

Roadbook Nr.2: Sandsjön - High Chaparall

Am frühen Morgen der Blick aus dem Hüttenfenster: aha, strahlender Sonnenschein, dann wird´s ja wieder nett heiss und staubig werden. Immerhin, heute sind nur 260 km zu fahren, mit einem Schotteranteil von 52 %. Wir müssen die Chalmers-Hütte leider verlassen, was unter anderem bedeutet, dass heute mit vollem Gepäck gefahren wird. Zunächst fahren wir gemeinsam zu Pers Garage zum Vorräte, sprich Bier, bunkern, dann geht es ab nach Li zwischen Kungsbacka und Fjärås. Über Fjärås Bräcka, den angeblich einzigen Platz in Schweden, von dem aus man sowohl den als auch die See sehen kann - den Lygnern im Osten und den Kungsbackafjorden im Westen - fahren wir zunächst über Asphaltstrassen Richtung Süden. Wir fahren ziemlich schnell - so um die 120, zu schnell eigentlich in Schweden, aber wir sind in Zeitverzug. Ich schaue aufs Roadbook - der nächste Abzweig muss bald kommen, und beim Aufschauen sehe ich zwei Bremslichter vor mir aufleuchten, weil der Abzweig eben schon da ist. Ich gehe hart in die Eisen, fliege trotzdem noch auf Bernd zu, der schon den Blinker gesetzt hat, und sehe Andreas nach links abbiegen. Ein kurzes Stossgebet - bitte, lass Bernd jetzt nicht abbiegen, sonst sind drei Transalps Schrott, von den Knochen der Fahrer gar nicht zu reden - und ich bin an ihm vorbei. Irgendwie gelingt es mir, meine Maschine noch rechts an Andreas vorbei zu lenken. Gut, dass wir bremsen und ausweichen immer bei unserem jährlichen Saisonaufwärmtraining üben .... Klemens hinter mir ist weiss wie das Papier, auf dem das Roadbook geschrieben ist, und ich sehe wohl auch nicht besser aus. Ein so schwerer Fehler darf mir nicht noch einmal passieren!

Über Hyltenäskulle, eine jungsteinzeitliche Grabanlage, von der aus man einen herrlichen Blick über den Öresjön geniessen kann, Toretorp und Rökås fahren wir nach Överlida, wo im Överlida Hotell das Mittagessen für uns bereitsteht.

Und nun geht´s los, jetzt bekommen wir bewiesen, warum das Roadbook für heute 52% Schotteranteil aufweist. Asphaltmässig sind ab jetzt nur noch kurze Verbindungsetappen zwischen den Pisten. Die Landschaft gleicht der in der Lüneburger Heide, auch die Pisten sehen ähnlich aus: Sandwege, mehr oder weniger tief. Ich fühle mich fast zu Hause. Etwas kommt aber noch hinzu, das ich von zu Hause nicht kenne, das wir aber seinerzeit in Slowenien zur Genüge kennengelernt hatten: fein- bis mittelkörniger, glatter, bisweilen recht tiefer Schotter, ein Belag, den wir damals "rolling stones" getauft hatten. Wie war das doch gleich, wie kamen wir dem Zeug bei? Genau wie im Sand - Vorderrad entlasten, möglichst weit nach hinten in die Rasten stellen und Hahn auf. Mensch, Bernd, gib Gaaas! Aber Bernd hat so seine Probleme mit dem Belag - ich kann´s verstehen, hatte ich auch zuerst. Aber mit der Zeit kommt auch Bernd immer besser mit den "stones" zurecht.

Irgendwie sind wir froh, als mitten in der Wildnis ein wahrscheinlich namenloser See zur Pause lädt. Wir springen hinein, um den Staub loszuwerden, und lümmeln uns anschliessend zum Trocknen auf ein am Ufer vertäutes Floss. Und weil wir gar keine rechte Lust haben, diesen idyllischen und ruhigen Platz zu verlassen, bekommen wir noch Gesellschaft von zwei anderen, nach uns gestarteten Gruppen, die das Stilleben aus Motorrädern, Fahrern, See und Floss ebenfalls recht anziehend finden.

Über Ekefors und Burseryd tasten wir uns allmählich an unser heutiges Ziel, den Campingplatz High Chaparal in der Nähe von Hillerstorp am Rande des Nationalparks Hädinge heran. Und weil wir unterwegs so getrödelt haben, müssen wir jetzt ganz schnell zum vorbestellten Abendessen in das im Western-Stil eingerichtete Restaurant des Platzes eilen. Alles auf diesem Platz sieht aus wie im Wilden Westen, "Big Bengt", der Besitzer, muss wohl in einem früheren Leben mal Cowboy gewesen sein. Im derzeit real existierenden Leben, das schon irgendwas mit achtzig Jahren dauert - genau weiss das keiner -, war er unter anderem mal Schrotthändler - und das merkt man heute noch. In dem Bereich des Platzes, der von einer wohl 10 m hohen Büste von ihm beherrscht wird, kann man alle möglichen und unmöglichen Arten von mehr oder weniger altertümlichen Werkzeugmaschinen und anderem Zeugs bewundern (und kaufen), und auch einen original englischen Doppelstockbus und eine alte Douglas DC3 gibt es zu besichtigen. Und irgendwo in einer Ecke liegt ein ausgemustertes Saab-Jagdflugzeug der schwedischen Luftwaffe herum.... Natürlich gibt es auch einen stilechten Saloon - die Typen, die hier herumlaufen, könnte man ungeschminkt in jeden x-beliebigen Wild-West-Film stecken - fehlt nur noch der Colt im Halfter. Den gibt´s natürlich auch - als Spielzeug für die Kids. Per "versaut" aber die Stimmung mit der trockenen Bemerkung: "Frühstück morgen um halb acht im Saloon, Moppeds schon aufgerödelt!" "Och, Per, muss das so früh sein?" "Ja, die Instruktoren warten." --- Instruktoren??? Moment mal, wir sind doch hier in der Nähe von Anderstorp, der skandinavischen Grand-Prix- Rennstrecke. Sollte etwa ...?

Der fünfte Tag

Roadbook Nr.3: Von High Chaparal nach Askim

Der Blick ins Roadbook bestätigt es: es geht nach Anderstorp. Kurzer Stop an einer Tankstelle, um den Luftdruck wieder asphaltgerecht einzustellen, und schon stehen wir in der Boxengasse des Scandinavian Raceway. Schnell noch das Gepäck abrödeln, denn mit Gepäck auf einer Rennstrecke zu fahren, macht ja nicht den rechten Sinn, und los geht´s. Thomas, einer der Instruktoren, ein in Schweden recht bekannter Superbike-Fahrer, erteilt uns ein paar Verhaltensmassregeln und nimmt uns dann zunächst alle für ein paar Einführungsrunden mit auf die Strecke. Erst langsam, dann von Runde zu Runde etwas schneller. Nach der vierten Runde geht´s wieder raus, und wir werden in drei Gruppen eingeteilt: schnell, nicht ganz so schnell, noch etwas weniger schnell. Klar, ich reihe mich bei den schnellen ein. Thomas, der unsere Gruppe wieder führt, legt nun ein deutlich schärferes Tempo vor, aber wir bleiben dran, also zieht er noch weiter an. Das bedeutet plötzlich andere Brems- und Schaltpunkte, tja, und da ist es passiert: ich verschalte mich vor einer Kurve, Per überholt mich aussen, weshalb ich nochmal zurückstecken muss, und die Spitze ist weg. Ist wohl auf mangelnde Rennstreckenerfahrung meinerseits zurückzuführen, die drei Holländer vor mir haben sich alle schon in Assen rumgetrieben, und Per kennt hier wohl jede Kurve mit Vornamen. Und da vorne jetzt höllisch schnell gefahren wird, kann ich den Abstand zwar halten, aber nicht verringern. Egal, ist ja kein Rennen, und so habe ich die Gelegenheit, mich ein wenig mit Dirk zu prügeln, dessen Maschine auf der Gegengeraden deutlich schneller ist als meine. Warum eigentlich? Gut, sie hat 100.000 km weniger auf der Uhr, oder liegt das an seinem Marving-Auspuff? Vielleicht hätte ich vorher doch noch schnell das Endstück aus meinem Sebring ausbauen sollen ... Beim Anbremsen der scharfen Rechtskurve am Ende der Geraden zeigt sich aber, welches Potential in der Brembo- Scheibe und der Stahlflexleitung steckt, und durch das Kurvengeschlängel bis hin zur Zielgeraden kann ich wieder ein paar Meter zwischen uns legen. Kurz vor Schluss gelingt es mir sogar, noch Leen abzufangen, der seine Transalp mit dem Motor und der Doppelscheibenbremse der Africa Twin ausgerüstet hat. Womit bewiesen wäre, dass eine Doppelscheibe an der Alp gar nicht so sehr nötig ist. Ergebnis der Hetzerei: ich bin körperlich etwas fertig, habe links und rechts je eine angeschliffene Fussraste, und wahnsinnig viel Spass gehabt. Thomas zeigte sich zum Schluss ehrlich erstaunt darüber, wie sehr er mit seiner Fireblade angasen musste, um uns unter Kontrolle zu halten.

Nun aber beginnt der Ernst des Lebens wieder, 240 km liegen vor uns, davon 117 km oder 48% auf Schotterpisten. Immer schön abwechselnd auf Schotter und Asphalt tasten wir uns wieder nach Nordwesten vor, verlassen zwischen Ötteryd und Grimsås die Provinz Småland und befinden uns wieder in Västergötland.

Irgendwann, so gegen 15 Uhr, geht´s bei mir nicht mehr. Das späte Zubettgehen gestern, die Hetzerei in Anderstorp, das konzentrierte Fahren im ewigen Staub und auch dieser gemein zerklüftete und steile Holzabfuhrweg, auf den uns ein Missverständnis mit unserem Roadbook gezwungen hatte, fordern ihren Tribut. Bernd und Klemens nicken Beifall, und so suchen wir uns eine schöne Stelle auf einer Waldlichtung, fallen vom Motorrad und genehmigen uns eine Stunde Matratzen-, nein, Waldbodenhorchdienst, derweil Andreas unseren Schlaf der Gerechten von einem Hochsitz aus bewacht. Schliesslich werfen wir noch ein Dope ein, sprich eine Mineraltablette, und wir sind wieder fit für den Rest der Strecke.

Auf dem Campingplatz in Askim, direkt an der Küste am südlichsten Rand Göteborgs gelegen, ist heute Abend internationales Abendessen angesagt. Jeder hatte ja eine Spezialität aus seiner Heimat mitgebracht, und so schwelgen wir in holländischem Käse, türkischen Oliven und getrockneten, in Öl eingelegten Tomaten, die von Yilmaz stammen, der zwar in Holland wohnt, aber eigentlich Türke ist, und verschiedensten Wurstspezialitäten aus deutschen Landen. Als Höhepunkt brutzelt Andreas noch Reibekuchen, zwar aus schwedischen Kartoffeln und mit schwedischem Apfelmus, aber das erhöht nur noch die Internationalität. Wie sagen die Holländer so schön: "Lekker-lekker-lekker", und das war letztlich das Schlagwort der zwei Wochen.

Der sechste Tag

Ruhetag

Ruhetag? Von wegen! Ruhe vorm Motorrad, ja. "Um halb zwölf legt das Schiff ab, drüben auf der anderen Seite der Bucht. Halbe Stunde Fussmarsch, also, um elf hier los! Wir machen eine Tour in die Schären!" In die Schären? Aber die sind doch, weil teilweise Militärgebiet, für Ausländer gesperrt?! "Ja, waren sie bisher. Aber seit April ‘97 sind sie offen."

Käpt’n Hans und Bootsmann Björn empfangen uns auf der MS Dickson, die - welche Überraschung - der Universität Göteborg gehört und normalerweise dazu dient, angehende Schiffsingenieure in der Kunst der Navigation zu unterrichten. Sie ist mit allem ausgerüstet, was bezüglich Schiffsnavigation derzeit "State of the Art" ist - modernstes Radar, GPS natürlich, und am meisten fasziniert mich die elektronische Seekarte, die von einem PC-Bildschirm auf der Brücke flimmert, die auch jeden noch so kleinen Huckel ausweist, der aus dem Wasser schaut und permanent - in Zusammenarbeit mit dem GPS - die aktuelle Position graphisch darstellt. Hans erzählt mir, dass er - nur auf diese Karte angewiesen - auf 2 m genau navigieren kann, und demonstriert das auch gleich, als wir in dem kleinen Hafen der Insel Styrsö anlegen. Wir picknicken auf einer Wiese am Hafen, und schliesslich machen wir uns auf, die Insel zu Fuss zu erkunden, immer auf der Hut vor diesen dreirädrigen Lastenmopeds, die das einzige Verkehrsmittel hier darstellen, und auf denen ganze Familien transportiert werden.

Hans und Björn erwarten uns auf der anderen Seite der Insel, und weiter geht’s, etwas auf offene Meer - das Kattegat - hinaus. Und weil es mittlerweile doch etwas windig geworden ist und die See etwas kabbelig ist, merken wir, dass wir auf einem Schiff sind, und nicht in einem Bus. In einem weiten Bogen, vorbei an einem ehemaligen Semannshospital, geht es zurück nach Göteborg, wo uns Hans am Campus der Universität von Bord gehen lässt. Direkt am Hafenbecken ist ein Grillplatz, einst aufgebaut von Studenten, auf dem wir jetzt riesige Steaks braten, die Per aus einem Auto gezaubert hat. Ach ja, wenn wir Per und die Uni nicht hätten ...

Der siebte Tag

Roadbook Nr. 4: Von Askim nach Ramsvik

Der erste Blick morgens geht immer zum Himmel. Bedeckt ist er heute, worüber wir nicht unfroh sind. Die Hitze der letzten Woche hat uns doch arg zugesetzt. Der zweite Blick geht ins Roadbook: 267 km sind heute zu absolvieren, aber, grosse Enttäuschung, nur lausige vier Schotterkilometer. Man kann´s uns halt nie recht machen...

Zunächst müssen wir uns durch Göteborg quälen, um uns dann über kleine Strassen mehr oder weniger nah der Küste über Säve, die erste Fähre dieses Tages über den Nordre älv hinüber nach Hammar, und Solberga nach Stenungsund vorzuarbeiten. Hier biegen wir nach Westen ab und fahren über die Tjörn-Bron (=Brücke) auf die Insel Tjörn. Die alte Tjörn-Bron ist am 18. Januar 1980 von einem grösseren Schiff "abgerissen" worden. Postkarten, die man im Kiosk am Aussichtspunkt nahe der Brücke kaufen kann, erzählen von dieser Katastrophe. Wir besuchen Klädesholmen an der Südspitze von Tjörn, einen für seine Fischkonservenindustrie bekannten Fischereihafen. Man riecht´s, Cannery Row lässt grüssen! Wir fahren hinüber nach Orust, die grosse, nördlich von Tjörn gelegene Insel, und besuchen Mollösund, noch einen Tick malerischer als Klädesholmen und ohne Fischindustrie, aber mit dem gleichen Fischgeruch gesegnet. Als wir nach der Mittagspause unter einer alten Eiche zu Fuss die nähere Hafenumgebung erkunden, finden wir auch die Ursache für den Geruch: in grösseren Mengen hängt hier Stockfisch zum Trocknen auf hölzernen Gestellen.

Wir verlassen Orust mit der Fähre in Richtung Malö und Flatön und setzen schliesslich mit der Fähre nach Lysekill wieder über aufs Festland. Bei Brodalen sehen wir die ersten von zahlreichen bronzezeitlichen Felszeichnungen, die charakteristisch sind für diese Gegend. Es sind Bilder von Schiffen, von Reitern, von Männern mit überdimensionalem Penis - Kinder, Frauen, die tägliche Arbeit werden nicht dargestellt. Man nimmt deshalb an, dass diese Zeichnungen sakralen Ursprungs sind. Wir besuchen noch Smögen, auf einer kleinen Insel vor Kungshamn gelegen, das die beiden anderen Häfen an Malerischkeit noch übertrifft. Aber ach, was muss ich sehen, jenseits des Hafenbeckens? Pommesbuden, Andenkenläden, eine Disco - Touri- Rummel. Wir haben wohl nur Glück, relativ früh im Jahr hier zu sein, deshalb ist es noch recht leer.

Knapp 10 km haben wir jetzt noch zu fahren, und wir sind an unserem heutigen Ziel, dem Campingplatz von Ramsvik, angelangt, wo auch wieder eine Reihe Hütten auf uns wartet und eine zweistündige Wanderung über die wahrhaft beeindruckenden Klippen von Ramsvik. Der Wettergott, der uns am Nachmittag doch tatsächlich ein paar Tropfen Regen auf den Pelz geschüttet hat, hat ein Einsehen, verscheucht die Wolken und lässt uns einen selten schönen Sonnenuntergang erleben, bevor wir uns dann ans Abendessen machen, das heute unter dem Motto steht "Alles, was im Meer krabbelt".

Der achte Tag

Roadbook Nr.5: Von Ramsvik nach Vassbotten

Ein erholsamer Tage wird es werden heute: Nur 116 km, davon 33 km oder 28% auf Schotterpisten, geht es wieder entlange der Küste noch weiter nach Norden. Wir lassen uns Zeit, wir haben sie ja. Wir schauen uns in aller Ruhe all die alten Felszeichnungen an, die auf unserer Route liegen. Für mich die schönsten sind die von Tanum, nicht nur weil man hier die grösste aller Figuren der Felszeichungen in Bohuslän bewundern kann, einen zwei Meter grossen Mann (eindeutig ;-) ), vermutlich einen Gott darstellend. Die Felszeichnungen von Tanum wurden übrigens im Jahr 1994 in die Liste der Weltkulturgüter der UNESCO aufgenommen.

Die Leute vom Bohusläns Museum geben sich viel Mühe mit diesen Felszeichnungen, die eigentlich keine Zeichnungen sind, sondern in den Fels geklopt wurden. Stege wurden über die Felsen gebaut, damit man alles gut sehen kann, ohne auf den Felsen herumzutrampeln und die Zeichnungen damit zu zerstören. Die Ritzungen wurden mit roter Farbe ausgefüllt, damit auch das ungeschulte Auge sie entdecken kann. Einige hat man im Originalzustand belassen, und in der Tat, man muss schon sehr genau hinsehen, damit man sie erkennt.

An einer Stelle, dicht bei Tanumshede, direkt an der Staatsstrasse 163 gelegen, hat man eine Art Museumspfad um die grösste dieser Anlagen gebaut, und hier hat man auch einige Zeichnungen mit Planen und gar Sand abgedeckt, um sie der Nachwelt zu erhalten. Noch viel beeindruckender empfinde ich persönlich allerdings die hier ebenfalls zu sehenden eiszeitlichen Gletscherschrammen; so schön hatte ich sie bisher noch nie gesehen.

Das Mittagessen ist heute für uns im Restaurant und Hotel Gestgiferi in Tanumshede bestellt, einem offensichtlich wirklich vornehmen Laden mit weiss-beblusten und schwarzberockten Kellnerinnen, einem Oberkellner im schwarzen Anzug mit Fliege, der alles aus dem Hintergrund lenkt, edlem Porzellan, Glas und Besteck auf dem Tisch. Und mittendrin 29 dreckige Endurofahrer, was aber niemanden hier zu stören scheint. Ach, die Welt ist schön.

Auf zum Endspurt. Es geht weiter nach Norden, vorbei an weiteren Felszeichnungen, und bei Vassbotten überqueren wir die Grenze nach Norwegen und verlassen somit das Gebiet der EU. Der Grenzübergang ist unspektakulär, irgendwo an der Strasse steht ein kleines Schild, das die Grenze kennzeichnet, das war´s. Und die Strassenmarkierungen sind plötzlich gelb. Wir schauen uns den Eigåfossen an, einen kleinen Wasserfall, der den nördlichsten Punkt des Transride markiert, einen eigentlich eher unspektakulären Fall, wenn man Latefossen und andere kennt, aber immerhin, ich bin mal wieder in Norwegen und sehe einen norwegischen Wasserfall.

Bald kehren wir wieder zurück in die EU und belegen unsere Hütten auf dem Campingplatz von Vassbotten, direkt am Ufer des Bullaresjön, mit Beschlag. Plötzlich Aufregung, alles rennt zum Eingang. "Ej, was´n los?" "Da vorn soll ´n Elch sein!" Ein ELCH? Wo ist meine Kamera? Im Tankrucksack. Und wo ist der? Aeh - noch am Mopped. Und wo ist mein Mopped? Achja, da steh ich ja grad vor. Ich schnappe Kamera und Teleoptik und schliesse mich dem allgemeinen Gerenne an. Im Laufen wechsele ich das Objektiv, und tatsächlich, da steht, 100 m entfernt, in einem lichten Birkenhain, eine Elchkuh. Ich kann gerade noch ein Foto schiessen, dann zieht sich die Dame, offensichtlich irritiert über das Interesse an ihrer Person, ins Dickicht zurück. Ich denke mir, dass sie Hunger hat, und dass sie, wenn der Rummel vorbei ist, wohl wiederkommen wird. Während die anderen zum Kanufahren gehen, bewaffne ich mich also mit Kamera und Fernglas, umgehe das Dickicht grossräumig im Wald, wobei ich auf einige alte Bunker stosse - wir sind ja an der Grenze zu Norwegen -, und schleiche mich gegen den Wind an den Birkenhain. Und richtig, da steht sie, in aller Ruhe Grünzeug rupfend und genüsslich kauend. Meter um Meter arbeite ich mich vorsichtig vor, bis ich es bei 20 m Entfernung gut sein lasse. So ein Elch ist verdammt gross, und weiss der Kuckuck, wie er reagiert, wenn ich noch näher komme. Auch wenn dieses Exemplar kein Geweih hat, sicher ist sicher. Eine halbe Stunde bin ich mit dem Elch allein, er sichert nur manchmal zu mir herüber, wenn der Verschluss der Kamera klickt, und erst als von der anderen Seite jemand mit Getöse durch den Hain poltert, zieht er indigniert wieder ab.

Als ich wieder zurück bin im Camp, trudeln auch die anderen langsam wieder ein, und plötzlich steht Per mitten unter uns, in jeder Hand je einen riesigen Lachs. Das Hallo ist gross, schnell ist ein passender Grill organisiert und Klemens, unser genialer Chef dè cuisine (muss ja mal gesagt werden), wird mit der Garung der Viecher beauftragt. In irgendeiner Hütte wird ein Fuder Kartoffeln, die zu Pellkartoffeln werden sollen, in Töpfe geschüttet, und Randal bereitet ein tolles Dressing aus Crème fraiche, Senf und Honig.

Den Abend beschliessen wir beim Lagerfeuer auf den Klippen im Bullaresjön, und wir stossen mit einer Flasche schwedischem Absolut Vodka auf Hans´ Geburtstag an.

Der neunte Tag

Roadbook Nr. 6: Von Vassbotten zum Sandsjön

Der obligatorische Blick aus dem Hüttenfenster: Wie jetzt, Wasser von oben?? Nicht viel zwar, aber immerhin; wer hat und braucht, zieht vorsichtshalber schon mal die Regenklamotten an. Was sich als eine gute Idee erweist, denn es dauert nicht lange, und es "schifft wie der Bär". Immerhin hat es den Vorteil der geringeren Staubentwicklung auf den Schotterpisten, die heute mit 126 von 285 Gesamt-km immerhin 44% ausmachen. Woher ich diese Angaben immer habe? Nun, Per hat sich die Mühe gemacht, jeden Gesamt- und jeden Schotter-km akribisch genau im Roadbook aufzuzeichnen.

Wir lernen heute, dass die schwedischen Erdstrassen lange nicht so rutschig sind, wie sie bei Nässe aussehen. Finde ich jedenfalls, und ich finde, dass sich meine Kombination aus Dunlop K560 vorn und Bridgestone TW42 hinten wieder einmal wacker schlägt, wie auch in all den vergangenen Tagen bisher. Egal ob Cross-Piste, Sandweg, grob- oder Feinschotter, Asphalt- oder Erdstrasse oder Rennstrecke - mit den Reifen hatte ich nie ein ernsthaftes Problem. Schliesslich ist diese Kombination ja auch aus der Erfahrung aus 160.000 Transalp-km (mit der gleichen Maschine, wohlgemerkt!) entstanden. Probleme gibt´s eigentlich nur im tiefen Matsch, aber den hatten wir hier nicht. Ich liebe Motorräder ohne Reifenbindung!

Im Roadbook ist in der Nähe von Stensryr Pause an einer grossen Sandkuhle angegeben, mit der Bemerkung, dass man da fahren darf, wenn nicht gearbeitet wird. Nun, da unten kurvt ein Radlader rum, aber so toll sieht das von hier oben auch nicht aus. Da muss also noch was anderes sein, und bald haben wir den alten Teil entdeckt, in dem uns kein Radlader bei unserem dreckigen Tun stört. Randal, von Beruf Fotograf, bekommt diverse Kameras in die Hand gedrückt, und während wir mehr oder weniger professionell die Steilauffahrt meistern, macht er professionelle Fotos.

Weiter geht´s Richtung Südosten, bis wir bei Nordkroken in der Nähe von Vänersborg, von wo man einen schönen Ausblick auf den Vänern hat, den Platz für unser Mittagspicknick erreichen. Eigentlich hätte es Hot Dogs geben sollen, aber weil´s immer noch regnet, werden aus den heissen eben kalte Hunde. Kurz bevor wir weiterfahren wollen, hat Petrus ein Einsehen. Auf der Stelle wird der "Instant-Grill" angeworfen, und wir bekommen doch noch etwas Warmes in den Bauch.

Im weiteren Verlauf berühren wir einen Ort namens Tyskorna, übersetzt die "Deutschinnen" (so steht´s jedenfalls im Roadbook). Warum der Ort so heisst? Niemand weiss es, vielleicht mag es ja mal jemand herausfinden.

Am Ufer des Anten, eines etwas grösseren Sees, gibt´s in einem rustikalen Cafè Kaffee und Kuchen, den wir jetzt auch dringend brauchen. In der Nähe liegt die ehemalige Burg eines Riesen hoch über dem Anten, zu erreichen durch eine schmale Felsspalte. Das Roadbook empfiehlt, einen Stock mitzunehmen. Wir wissen zwar nicht so genau, was wir da machen sollen, aber wir tun es. Der sagenhafte Hintergrund ist folgender: In vorchristlicher Zeit hatte der Riese Åland sich eine Elfe gefangen, die er zu seiner Frau machen wollte. Die Elfe fand das allerdings überhaupt nicht witzig, und nach einiger Zeit und etlichen fehlgeschlagenen Versuchen, sich zu befreien, versuchte sie es mit einem Sprung von der Bastion in den Anten, den sie allerdings laut der Sage nicht überlebte. Und was hat das nun mit dem Stock auf sich? Es gibt zwei Versionen: Die erste ist, dass der Stock als Anerkennung für die Elfe dienen soll, die zweite besagt, dass der Stock dazu dient, den Riesen zu veranlassen, einen wieder aus seiner Burg zu entlassen. Auf jeden Fall muss man den Stock in der Burg lassen. Wir taten es, und wir konnten die Burg durch den Felsspalt auch wieder verlassen. Natürlich konnten wir es, andernfalls könnte ich Euch nicht mit diesem Bericht nerven.

Am Sandsjön schliesslich und unserer Lieblingshütte angekommen, hatte ein hilfreicher Geist - Riese oder Elfe, egal - schon die Sauna angeworfen, was diesem Geist, bzw. seiner Inkarnation Stefan oder Bettina, ebenso egal, ein durchaus reales und verdientes Extra-Bier einträgt.

Der 10. Tag

Roadbook Nr.7: Vom Sandsjön nach Askim

Der vorletzte Tag in Schweden, für die meisten jedenfalls, für alle aber die letzte Roadbook-Tour. Die Nacht über hat es tüchtig geregnet, und jetzt ist der Himmel immer noch bedeckt, aber es ist trocken. 271 km verzeichnet das Roadbook, davon 153 km mit dem Kennzeichen "G" für "grus", Schotter also, und auffallend viele "W", die Spass auf Waldwegen verheissen. In einem weiten Bogen nach Osten soll es zum uns schon bekannten Campingplatz in Askim gehen, Luftlinie vielleicht 30 km südwestlich vom Sandsjön gelegen. Der Weg ist das Ziel - die alte Endurofahrer-Weisheit bewahrheitet sich wieder einmal. Nach 20 km über kleine Asphalt- Strassen geht es am Ufer des Ingsjön einen überraschend steilen Weg hinauf, der mit seiner Steigung, den tiefen Rillen und dem grobschotterigen Belag einer französischen Alpen- Militärstrasse alle Ehre machen würde. Sogar eine Spitzkehre gibt es. Kurz vor Rävlanda stossen wir auf eine Sandkuhle, die offensichtlich von den ortsansässigen "Dreckferkeln" zu einer MotoCross-Strecke umfunktioniert worden ist. Klar, dass auch wir hier unseren Spass suchen, und auch finden.

Die nächste Sektion kennen wir schon vom Roadbook Nr. 3, da, wo es uns auf diesen Holzabfuhrweg verschlagen hat, den wir diesmal aber wohlweislich meiden. Nach dem letzten Regen sieht er, zumindest für Maschinen unseres Kalibers, fast unpassierbar aus. Es gibt hier aber noch einen anderen Rundkurs, den wir mit grösstem Vergnügen befahren, und wir verlassen den Wald durch eine Steilabfahrt innerhalb eines Steinbruchs. Und weils so schön war, drehen wir gleich um und fahren noch einmal hoch ...

Das heutige Mittagessen ist für uns im Restaurant des Campingplatzes von Holsljunga bereitet, und als Hauptgang gibt es Elchbraten. Wie war doch das Schlagwort? "Lekker-lekker-lekker!"

Weiter geht es über Schotterpisten und kleine Waldwege wieder Richtung Westen. Einmal ist ein Weg mit einem Stacheldrahtgatter versperrt; wir denken uns, dass ein Bauer hier sein Vieh laufen lässt. Da wir keine Alternative sehen, öffnen wir das Gatter kurzerhand und fahren durch, natürlich nicht ohne es ordnungsgemäss wieder zu schliessen. Wir fahren und fahren, bis wir schliesslich wieder auf eine Asphaltstrasse stossen, ohne das Gegenstück des Gatters gefunden zu haben. Merkwürdig.

Wir treffen uns schliesslich alle wieder in Fjärås Bräcka, dem Ort, von dem aus man den und die See sehen kann, und fahren gemeinsam nach Askim.

Mona überrascht uns zum Abendessen mit Kartoffelauflauf und einer Art "gelben Grütze" aus nordischen Beeren, und Mike brutzelt noch ein paar Pfannkuchen zusammen. So richtig fröhlich sind wir heute abend nicht, denn ...

Das war´s

Für die meisten ist heute, am Freitag, der Urlaub zu Ende, nur ein paar Leute werden noch hier bleiben. Cookie und Heike wollen noch Freunde am Vättern besuchen, Carsten, Christa, Michael, Klemens und Joscha fahren am Sonntag, ich habe eine Galgenfrist bis Samstag. Da ich alle Klamotten dabei habe, kann ich mir die Fahrt zu Pers Garage schenken. Statt dessen fahre ich in die City von Göteborg, schaue mir den Hafen an, den "Kai der guten Hoffnung", wo überwiegend fast schrottreife Schiffe liegen, deren Besitzer die gute Hoffnung haben, sie irgendwann einmal wieder flott zu bekommen. Ich fahre hoch zur Masthuggs-Kirkan, Göteborgs grösster Kirche, auf einem Fels hoch über der Stadt gelegen. Das Kirchenschiff macht seinem Namen alle Ehre, die innere Dachkonstruktion sieht aus wie der umgedrehte Kielraum eines Schiffes. Die Nacht von Freitag auf Samstag ist die Mittsommernacht - der Grund, warum wir noch hierbleiben. Die "Henkersmahlzeit" besteht aus dem traditionellen Mittsommernachtsschmaus der Schweden, Pellkartoffeln, einer Art Matjes, gepökeltem und mariniertem Rindfleisch und vor allem Erdbeeren mit Schlagsahne in nennenswerten Mengen. Gerade haben wir alles verputzt, da öffnet jemand im Himmel eine Schleuse und lässt es pladdern, was das Zeug hält, so als wolle Schweden uns den Abschied erleichtern. Und als der Regen nach einer halben Stunde aufhört, stehen alle Motorräder frisch gewaschen und sauber da, der ganze schöne Dreck, den wir in zweiwöchiger mühsamer Arbeit angesammelt hatten, ist weg! So glaubt uns doch niemand zu Hause, dass wir Spass hatten ...

Die "Kür"

Gegen 17 Uhr machen sie sich auf den Weg, die die Fähre um 19 Uhr nach Kiel nehmen müssen, und wir Zurückgebliebenen fühlen uns ziemlich allein. Was machen wir nun? Schauen wir mal, was die Schweden machen. Überall, rund um die Bucht, auf dem Campingplatz, in der freien Natur, sieht man kleinere oder grössere Gruppen, um ein Feuer versammelt oder einen Grill. Hin und wieder sieht man sogar Frauen und Mädchen in traditionellen weissen Kleidern mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, aber das ist, zumindest hier, die grosse Ausnahme. Auf dem Platz neben uns hat jemand seine Gitarre mitgebracht und spielt und singt die Hitparade von vor 30 Jahren rauf und runter, und dann auch jenes alte schwedische Volkslied, das uns Mona am ersten Abend beigebracht hatte. Den Refrain singen wir mit - "sill i dill, sill i dill, sill i dill, dill, dill..."

Auch wir werfen unseren Grill an und vertilgen zu den Steaks die übriggebliebenen Pellkartoffeln und Erdbeeren. Per hatte uns gezeigt, wo heute abend die Mittsommernachtsfete steigen sollte mit Tanz rund um den blumengeschmückten Mittsommer- nachtsbaum. Wir gehen zum Festplatz, und sind etwas enttäuscht: eine Boys Group spielt die Hitparade von heute rauf und runter, und man verlangt 80 Kronen - glatte 20 Mark - Eintritt. Da lehnen wir dann doch dankend ab. Statt dessen bewaffnen wir uns jeder mit ein paar Büchsen Falcon 3.5 und ziehen hinaus auf die Klippen. Falcon 3.5 - das ist die 3.5 Alkohol-Prozente-Version des Falcon Bieres, ein Luxus, den wir uns zur Feier des Tages gegönnt haben. Der halbe Liter kostet immerhin 9 Kronen, etwas über 2 Mark. Alkohol ist in Skandinavien eben teuer.

Am späten Samstagvormittag verlassen uns Heike und Cookie Richtung Vättern - die Gruppe wird immer kleiner. Am Nachmittag fahren wir noch einmal nach Göteborg hinein - die Stadt wirkt wie ausgestorben, die meisten Geschäfte sind geschlossen. Wir finden ein geöffnetes Cafè, trinken einen Kaffee, essen von diesen herrlich süssen kleinen Kuchen, und dann wird es auch für mich Zeit, auf der Stena- Fähre nach Kiel einzuchecken.

Wieder zu Haus

"Sag mal,", sagt die beste Ehefrau von allen (Ephraim Kishon möge mir dieses Plagiat verzeihen), "was ist los mit Dir? Du läufst so miesepetrig rum. Hat´s Dir nicht gefallen? Oder hast Du Dich verliebt?" "Nein, es war wunderschön, und Du weisst doch, ich liebe nur Dich!" Doch, natürlich habe ich mich verliebt, in das Land mit seinen unendlichen Wäldern und den unzähligen Seen. Und jetzt muss ich mich daran gewöhnen, dass es jenseits von Schweden noch ein reales Leben gibt. Aber keine Angst, das wird schon wieder ...

Die Teilnehmer

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                         Joscha         *
                        Piet Johan     Leen
                       Ron    Henny Malu Bernd
           *          Stefan     Bettina Andreas
          Mike       Wouter                Yilmaz
         Heike Rolf Markus                  Christa
        Michael  Hans                           Dirk
       Reiner                                    Randal
      Deti
     Erik
    Conny
   Klemens
  Carsten
 Per

Das Land


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